Braucht es eine spezielle therapeutische Haltung, um beziehungsfokussiert-verhaltenstherapeutisch zu arbeiten? Bitte nicht!
Die Tatsache, dass verschiedene beziehungsfokussierende Techniken die gleichen Konstrukte und Zielvariablen ansteuern, führt gelegentlich dazu, dass Anwender einer bestimmten Methode diese zum alleinigen Bezugsrahmen ihrer therapeutischen Arbeit erklären und damit die zweifelsohne für die erfolgreiche Ausübung der Psychotherapie notwendige Verfahrenstreue („allegiance“) eher durch eine Verfahrensidentität überstrapazieren. Das heißt konkret, dass Psychotherapeuten in zunehmendem Maße die Zuschreibung „Verhaltenstherapeut“ immer häufiger ergänzen durch entsprechende Subspezifikationen in einem der oben genannten Verfahren oder gar gänzlich die Zuschreibung ablehnen und sich als „Schematherapeut“, „ACT-Therapeut“ oder „DBT’ler“ bezeichnen.
Allerdings handelt es sich hierbei nur um eine individuelle Beobachtung, ohne dass hierfür belastbare Empirie vorläge. Diese wird jedoch immerhin gestützt durch eine Beobachtung innerhalb der psychodynamischen Psychotherapien, die seit einigen Jahren durch eine zunehmende Beliebtheit einer traumatherapeutischen Zusatzqualifikation offenbar ein ähnliches Phänomen erkennen lassen.
Gründe für die Beliebtheit einer traumatherapeutischen Identität für psychodynamisch ausgebildete Psychotherapeuten (nach Rudolf 2010) | Gründe für die Beliebtheit einer beziehungsfokussierten Methoden-Identität für verhaltenstherapeutisch ausgebildete Psychotherapeuten (eigene Darstellung) |
Aufwertung durch Spezialisierung (im Rahmen einer dauerhaft bestehenden Konkurrenz) gegenüber den Psychoanalytikern | Aufwertung durch Spezialisierung gegenüber so genannten „klassischen“ Verhaltenstherapeuten und psychodynamischen Psychotherapeuten |
manualisierte Vorgehensweise wirkt konkreter und handlungsnäher als „übliche“ psychodynamische Psychotherapie | manualisiertes Vorgehen wirkt konkreter als das nur vage definierte Konzept einer „allgemeinen verhaltenstherapeutischen Beziehungsgestaltung“ |
Hoffnung für Patienten und Therapeuten, einem vermeintlichen „Grundproblem“ durch konkrete Bearbeitung näher kommen zu können | Hoffnung für Therapeuten, so genannten „frühen Störungen“ des Bindungssystems, die zuvor psychodynamischen oder analytischen Therapien vorbehalten waren, näher zu kommen als durch herkömmliche VT-Techniken |
Intensive emotionale Patient-Therapeut-Beziehung ermöglicht einen „[hohen], teilweise kämpferisch engagierten Einsatz des Therapeuten“ | Intensivere, emotionalere Patient-Therapeut-Beziehung durch besonderen Beziehungsfokus ermöglicht mehr persönlichen Einsatz des Therapeuten |
Einer solchen Subspezialisierung kann man jedoch durchaus kritisch gegenüberstehen, da sie nicht mit entsprechender Evidenz gestützt wäre, eine konkrete Qualitätssicherung oder gar Behandlungsverbesserung sich auch im Einzelfall nicht immer abzeichnet und möglicherweise auch Risiken bei der zukünftigen Kostenübernahme von Heilbehandlungen perspektivisch damit verbunden sein können, wenn der Berufsstand einhellig die größtmögliche Spezialisierung mit den größeren Behandlungserfolgen in Verbindung brächte.