Die Erarbeitung übergreifender Kriterien beziehungsfokussierter Techniken
Aufgrund der Beobachtung der methoden- oder technikbezogenen separatistischen Tendenzen ergab sich mein Versuch der Entwicklung einer plausiblen und praktisch bei schwer gestörten Patienten anwendbaren, nicht aber empirisch überprüften Meta-Theorie, die als Basis dienen kann, beziehungsfokussierende verhaltenstherapeutische Techniken im Sinne einer transdiagnostischen modularen Psychotherapie zielführend einzusetzen.
Als theoretisches Grundgerüst, in das die einzelnen Methoden oder Techniken einsortiert werden können, eignen sich meiner Meinung nach am ehesten die beiden Dimensionen „Prozessorientierung versus Störungsorientierung“ aus dem methodenübergreifenden psychotherapeutischen Ansatz der individualisierten Psychotherapie nach Sack (2019) sowie „implizite Beziehungserfahrungen ansteuernd versus explizite Beziehungserfahrungen ansteuernd“ aus der psychodynamischen beziehungsweise psychoanalytischen Betrachtungsweise, insbesondere der Boston Change Process Study Group (2010).
Betrachtung der Beziehung als Störung oder als Prozess?
Diese Variablen sind nachvollziehbarerweise nicht oder nur indirekt Teil der jeweils verwendeten Sprache innerhalb der einzelnen verhaltenstherapeutischen Methoden. Dennoch sind Verbindungen hierzu durchaus plausibel herzustellen.
(Nach Sack 2019) | Störungsorientierung | Prozessorientierung |
Zugang zur Symptomatik |
Objektive Befunde | Subjektives Erleben |
Therapiemodell |
Am Verständnis von Störungsmechanismen orientiert (symptombezogener Ansatz) | Grundlage der Therapie ist die therapeutische Beziehung (beziehungsorientierter Ansatz) |
Primärer therapeutischer Ansatzpunkt | Effektive Reduktion von Beschwerden | Förderung der Persönlichkeitsentwicklung |
Übergeordnete Zielsetzung | Normalisierung abweichender Erlebens- und Verhaltensweisen | Emanzipation von Fremdbestimmung und gesellschaftlichem Anpassungsdruck |
Steuerung der Behandlung | Standardisierung von Behandlungen (Manuale, Leitlinien) | Flexibles Anpassen der Behandlung an die jeweiligen Bedürfnisse des Patienten |
Veränderungs-dimension | Objektiv messbares Ergebnis der Therapie | Qualitative Veränderungen der Erlebnisfähigkeit und des Identitätserlebens |
Therapieschule | Zum Beispiel Verhaltenstherapie, Traumatherapie | Zum Beispiel Psychoanalyse, humanistische Psychotherapie |
Am einfachsten gelingt dies wohl mit dem Begriff der Störungsorientierung, die zumindest in der Logik von Sack (2019) sogar als eine Hauptcharakteristik der verhaltenstherapeutischen Verfahren verstanden wird. In der Tat sind prozessorientierte Vorgehensweisen in verhaltenstherapeutischen Konzeptualisierungen vor dem Einsetzen der „Dritten Welle“ nicht bekannt.
Explizites versus implizites Bearbeiten von Beziehungsphänomen
Wesentlich ausgewogener scheint die Verteilung zwischen expliziten und impliziten Erfahrungen im allgemeinen verhaltenstherapeutischen Vorgehen zu sein, da gerade Techniken der nie so bezeichneten ersten Welle gerade dadurch, dass keine Unterscheidung zwischen bewusst oder unbewusst getroffen wurde, implizite Veränderungsprozesse mit eingeschlossen haben. Dieses Vorgehen wurde erst im weiteren historischen Verlauf der Verhaltenstherapien umgewandelt zu einem mehr auf Transparenz und Erklärungen basierenden Umgang. Dennoch beinhalten selbst die verhaltenstherapeutischen Methoden, die überwiegend auf transparente Erläuterungen und Erklärungen und damit eben explizite Erfahrungen der Verhaltensmodifikation setzen, oftmals eben auch zumindest anteilig theoretischen Spielraum für implizite Interventionen, beispielsweise in der kognitiven Therapie, in der naturgemäß zunächst einmal davon ausgegangen werden muss, dass die dysfunktionalen gedanklichen Konzepte eben nicht allesamt dem Bewusstsein zugänglich sind, sondern dies erst Teil des therapeutischen Prozesses sein kann (vergleiche Stavemann, 2010).
Unabhängig von jeglicher theoretischer Implementierung dieser Variable ist wohl unbestreitbar, dass gewisse Verhaltensweisen zwar auf der expliziten Ebene einen gewissen Zweck haben, deren implizite (und manchmal auch unbeabsichtigte) Wirkungen jedoch ganz anderen Regeln folgen können. Entsprechend der Konzeption interaktioneller Gruppentherapie nach Heigl und Heigl-Evers ergibt sich die Konsequenz dann nicht aus dem, was auf der expliziten Ebene besprochen wird, sondern wie es implizit verarbeitet wird.
Umso wichtiger bei dieser Unübersichtlichkeit in Bezug auf methodische Konzepte und plausibel erscheinenden intuitiven Ansätzen ist es, sich zu verdeutlichen, dass die Einordnung der einzelnen beziehungsfokussierten Methoden nur der erste grobe Ansatz sein kann, eine Systematik zu erstellen.